Erwin Schaller, ein Wegbereiter der Gitarrenpädagogik des
20. Jahrhunderts

 

Sein „Weg zur Gitarre“

 

Ein Musiker, der mit seinem Schaffen einen entscheidenden Beitrag zu dieser Neuorientierung des Gitarrespiels im 20. Jahrhundert getätigt hat, ist der Pädagoge, Komponist und Gitarrist Erwin Schaller.  
Erwin Schaller wurde am 9. Februar 1904 in Linz an der Donau als jüngster Sohn von Georg Schaller (1859-1924) und Mathilde Schaller geb. Bayr (1877-1958) geboren. Auf Wunsch seiner musikalischen Eltern – der Vater spielte Violine und Gitarre (sein Instrument, eine Gitarre von Johann Georg Stauffer vermachte sein ältester Sohn, Georg Schaller (1900-1987) der Sammlung Alter Musikinstrumente Wien), die Mutter Klavier – erlernte Erwin Schaller Violine.

Nach der Volksschule (1910–1915) besuchte Erwin Schaller die Realschule in Linz, die er mit der Matura im Jahre 1922 abschloss. Mit dem Besuch der Lehrerbildungsanstalt endete 1923 seine Schulzeit in Linz.Ab dem Jahre 1915 lernte er an der Schule des Linzer Musikvereines – das spätere „Bruckner-Konservatorium“ – Violine und belegt die Fächer Harmonielehre und Kammermusik.
Im September 1923 inskribierte Erwin Schaller an der Musikakademie in Wien. Er studierte Komposition bei Dr. Richard Stöhr (1875-1967) und Franz Schmidt (1874-1939) sowie Violine bei Franz Mairecker (1879-1950). Nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1924 finanzierte er sein Studium in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit mit Privatunterricht und als Substitut an der Wiener Staatsoper.
Bereits am 9. Mai 1925 legte Erwin Schaller seine erste Staatsprüfung aus dem Fach Violine ab, am 28. Juni 1929 folgte die Reifeprüfung im Fach Violine, und am 30 Juni 1929 die Reifeprüfung in Komposition. Mit der Diplomprüfung in Violine am 16. Juni 1930 beendete er sein Studium an der Wiener Musikakademie.Da er sämtliche Prüfungen mit Sehr gut abgelegt hatte, erhielt er das Akademie-Diplom für außerordentliche Begabung und Würdigkeit. Danach folgte ein einjähriges Fortbildungsstudium für Violine an der Musikhochschule Köln bei Hermann Zitzmann, und ab dem Herbst 1931 war Erwin Schaller als Bratschist im „Grümmer-Quartett“, in Bern (Schweiz).

„Der Einstieg als Berufsmusiker, der erste selbstverdiente Frack und ein Studium der Musikwissenschaften für ein Semester an der Universität in Bern waren das erfreuliche Ergebnis dieses einjährigen Aufenthaltes“.

Die klassische Gitarre lernte Erwin Schaller durch seinen Jugendfreund aus Linz – Karl Scheit (1909-1963)– kennen. Karl Scheit hatte 1926 sein Gitarrestudium bei Jakob Ortner an der Musikakademie begonnen, und bald entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit der beiden Freunde - in einer Zeit, in der die Gitarre als eigenständiges Soloinstrument noch nicht anerkannt war, es noch keine einigermaßen akzeptierten stilistischen Richtlinien gab, und die Gitarre in der allgemeinen Vorstellungswelt eng mit der Jugendbewegung verknüpft war.

Beiden war bewusst, dass die Gitarre, um wieder als Konzertinstrument in der Musikwelt anerkannt zu werden, von ihrem weit verbreiteten Image, nur eine populäres Begleitinstrument zu sein, befreit werden mußte.

Die jungen Musiker versuchten dies durch:

  • Präsentation der Gitarre in öffentlichen Konzerten mit künstlerisch wertvollen Programmen,
  • Erweiterung des Repertoires
  • Die Etablierung der Gitarre in musikalischen Institutionen

Mit der Zielsetzung, der Gitarre ein neues Repertoire zu erschließen, entstanden in den Jahren 1928 bis 1930 viele Bearbeitungen für Violine und Gitarre, die von Erwin Schaller und Karl Scheit - die als Duo Schaller-Scheit auftraten - in ihren Konzerten gespielt wurden. In einem Sammelband aus dem Jahre 1928 finden sich z. B. unter anderem Bearbeitungen folgender Werke für diese Besetzung: R. Schumann: Täumerei; L. Boccherini: Minuetto; Sarasate: Zigeunerweisen, Mouzkowsky: Spanische Tänze; J. S. Bach: Andante; F. Kreisler: Rondino, J. P Cartier.: La chasse, J. Brahms: Wiegenlied.

Im selben Jahr entstand auch eine Eigenkomposition von Erwin Schaller für diese Besetzung mit dem Titel Rhapsodie für Violine und Gitarre. 

Nach einer gelungenen Präsentation der Gitarre als Continuoinstrument an der Akademie für Musik wurden Scheit und Schaller von Alexander Wunderer, dem damaligen Leiter der Bachgemeinde Wien, zu einem Konzert eingeladen. Somit war ein Ziel, nämlich die Gitarre und ihre Möglichkeiten in etablierten Institutionen zu präsentieren, erreicht.

Wann Erwin Schaller sich mit dem Gitarrespiel zu beschäftigen begann kann man heute nicht mehr genau feststellen. Fest steht, dass Ende der 20er Jahre und zu Beginn der 30er Jahre viele Bearbeitungen und Einrichtungen bekannter Solowerke für Gitarre entstanden sind. Die Bearbeitungen dieser schwierigen Konzertstücke lassen auf eine fundierte Sachkenntnis und Beherrschung des Instruments schließen. So entstanden unter anderem Bearbeitungen von J. S. Bachs Suite e-moll (BWV 996) und der Suite E-Dur (BWV 1006a), letztere interessanterweise in einer Transposition nach D-Dur. Neben Bearbeitungen von Werken der klassischen Komponisten F. Sor (Mozartvariationen, op. 9) und M. Guiliani (Sonate C-Dur, op. 15) findet man auch eine Übertragung der Suite in D-moll von Robert de Visée und Einrichtung der Tremoloetüde Recuerdos de la Alhambra von F. Tarrega.

Wie eingehend sich Schaller auch mit den Kompositionen der klassischen Gitarristen auseinandersetzte, kann man daran erkennen, dass im Jahre 1936 beim Heinrich Hohler Verlag, Karlsbad fünfzehn Etüden aus den Etüden op. 60 von F. Sor in einer Bearbeitung von Erwin Schaller erschienen. Dieses Heft war so erfolgreich, dass im Jahr 1937 schon eine zweite Auflage aufgelegt werden musste.

Die intensive Beschäftigung mit der Sologitarre spiegelt sich auch in seinem kompositorischen Schaffen wider. Beeinflusst von den Werken J. S. Bachs entstanden in dieser Zeit unter anderem die Sonate e-moll und der Cantus phrygicus (Cantus). Dieser wurde von Erwin Schaller in das Programm seiner Reifeprüfung im April 1933 mit einbezogen.

Diese Prüfung war Voraussetzung für eine Bewerbung als Pädagoge an seiner ehemaligen Schule, der Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt in Linz. Wahrscheinlich wurde er von seinem Freund Karl Scheit, der zu dieser Zeit bereits einen Lehrauftrag an der Akademie für Musik in Wien innehatte, auf diese Prüfung vorbereitet. Am 12. Juni 1933 legte Schaller als Externist die Reifeprüfung, und am 30. Juni 1933 die Staatsprüfung im Fach Gitarre bei Prof. Jakob Ortner an der Musikakademie in Wien ab

Wird fortgesetzt

 

 

Kurze Entwicklungsgeschichte der Gitarre
(Renaissance - Barock - Klassik)

RENAISSANCE

  Die Welt zwischen Laute und Vihuela

  Die Renaissance (Wiedergeburt) war kulturgeschichtlich das Zeitalter der Wiederentdeckung von klassischen, vor allem griechischen und römischen Idealen. Der Mensch als Individuum stand nun im Mittelpunkt des Denkens; Philosophie, Dichtkunst, darstellende Kunst und vor allem die Architektur bedienten sich zahlreicher antiker Vorbilder.  Für die Entwicklung der westeuropäischen Musik war die Renaissance eher eine Epoche des Aufbruchs und einer Neuorientierung vor dem Hintergrund einer allgemeinen Umstrukturierung der Gesellschaft. Lag die Musik bislang ausschließlich in der Hand der Kirche und des Klerus, so bedeutete nicht zuletzt die Erfindung des Buchdrucks durch den Nürnberger Johannes Gutenberg im Jahre 1455 einen entscheidenden Durchbruch für die Verbreitung von Musik. Die niederländische Schule um Josquin de Près, Orlando di Lasso und Adrian Willaert hatte einen völlig neuen Stil von polyphoner Vokalmusik geprägt, die wegbereitend für die gesamte europäische Musik werden sollte.

Die Laute zählte im 16. Jahrhundert zu den vornehmsten und geschätztesten Musikinstrumenten überhaupt, entsprach sie doch durch ihre spieltechnische Vielseitig-keit ganz dem neuen Klangideal: einer Mischung aus strenger Satztechnik, Polyphonie, ausdrucksvollem Linienspiel und variantenreichem Laufwerk. So entstanden vermutlich um 1500 gleich mehrere verschiedene Griffbilder für die Laute – Tabulaturen, die das Klangbild des jeweiligen Stückes auf die Fingerpositionen der linken Hand reduzierten und somit verschlüsselten: Tonart, Charakter eines Stückes, Länge der Notenwerte, Pausen und polyphone Stimmverläufe konnten dementsprechend nur von einem erfahrenen Lautenisten umgesetzt und interpretiert werden. Trotz dieser Nachteile konnte die Tabulatur als solche weiterleben – als Lautennotation bis zum Ende des Barockzeitalters und als Gitarrennotation ist sie in Rock- und Folkmusik heute wieder aktueller denn je. Die älteste Tabulaturform war vermutlich die italienische, die gleichzeitig auch von den spanischen Vihuela - Komponisten benutzt wurde. Sie bestand aus sechs Linien – die sechs Saiten, wobei die höchste Saite als unterste Linie erschien – und Zahlen, die die jeweiligen Bünde auf der entsprechenden Saite darstellten. Gleichzeitig entstand in Deutschland die abstrakteste aller Tabulaturschreibweisen, die jeden Kotenpunkt des Griffbretts einzeln codierte und so manchen Spieler erschreckt haben muss! Auch die französischen Lautenisten schufen eine eigene Tabulatur: sechs Linien auch hier, diesmal mit der obersten Linie für die höchste Saite und anstelle der Zahlen lateinische Buchstaben. Ein „a“ stand für eine leere Saite, ein „b“ für den ersten Bund. Diese französische Tabulatur wurde bald auch von den Engländern übernommen und überlebte als einzige Form bis ca. 1760. Der Rhythmus wurde bei allen Varianten über der Tabulatur in Form von „Mensuralzeichen“ dargestellt, während die Taktstriche direkt in das Tabulaturbild gesetzt wurden.

Luys Milans Lebensdaten sind nicht genau bekannt und lassen sich nur anhand seiner Veröffentlichungen zeitlich eingrenzen. Im Jahre 1536 erschien in Valencia „El Maestro“ als erste gedruckte Sammlung von Kompositionen für die spanische Vihuela. Dieses Instrument besaß einerseits die doppelsaitige, sechschörige Stimmung der Laute, war aber in ihrer äußeren Form eher den Violeninstrumenten verwandt: die „vihuela de mano“, wie die exakte Bezeichnung lautete, war sehr leicht gebaut mit flachen Zargen (Korpusseiten) und flachem, zweigeteiltem Boden. Sie hatte als nicht den birnenförmigen, typischen „Bauch“ der Laute, die als das maurische Musikinstrument im gerade befreiten Spanien eher verhasst war.
Milans Buch war als Sammlung und Lehrbuch zugleich gedacht, es enthält genaue Anleitungen zur Spieltechnik und die enthaltenen Stücke sind nach Schwierigkeitsgrad angeordnet. Neben insgesamt 40 Fantasien finden sich 6 Pavanen im italienischen Stil,
4 Tentos – polyphon und virtuos angelegt wie die Fantasien – und Vihuela- begleitete Lieder in Spanisch, Italienisch und Portugiesisch.
Zwei Jahre nach Luys Milan erschienen die 6 Bücher mit Werke für Vihuela von Luys de
Narvaez, die unter anderem die ersten gedruckten Variationswerke überhaupt enthalten. Seine Transkription des Vokalsatzes „Mille regrets“ von Josquin zählt zu den gelungensten Intavolierungen (Bearbeitung eines Vokalwerkes zum instrumentengerechten Viuelasatz) der Zeit.
1546 folgte in Sevilla die Veröffentlichung von 3 Büchern mit Vihuelawerken Alonso
Mudarras, die neben 27 Fantasien, Tientos und Pavanen auch weitere Intavolierungen von Josquinsätzen enthalten. Seine Fantasie Nr. 10 gehört zweifellos zu den ungewöhnlichsten und überraschendsten „Kabinettstückchen“ der Renaissance. Sie soll das Harfenspiel eines gewissen Luduvico imitieren, der ganz offensichtlich eine frühe Vorliebe für subtile Dissonanzen und harmonische Querstände hatte, die seinem Spiel aber jenen speziellen Reiz verlieh, wie man ihn in Mudarras Fantasie ab Takt 61 erleben kann. Die Fantasie war ursprünglich im 2/4 Takt notiert und die Tabulatur belegt für die einleitenden Läufe eigentlich konventionelle Skalenfingersätze ohne campanella – Effekt.

John Dowland war nicht nur einer der größten Lautenisten seiner Zeit, er war neben William Byrd und Thomas Morley einer der bedeutendsten Vokal- und Instrumentalkomponisten im „golden age“ Englands. Einige seiner Lieder waren so populär, dass sie in den Werken William Shakespeares auftauchten und zitiert wurden. Er wirkte als Lautenist am Hofe von Königin Elisabeth I., aber auch beim dänischen König Christian IV. Er war in seinen frühen Jahren in Paris, in Deutschland und Italien gewesen und hatte auf diese Weise zahlreiche Strömungen und Formen kennengelernt und in sein eigenes Schaffen einfließen lassen. Neben seinen bedeutenden 3 Books of songs (1597, 1600, 1603) und seiner berühmten Sammlung von fünfstimmigen Sätzen für Gambenkonsort „Lachrimae or seaven tears“ sind es aber doch die große Zahl einzigartiger Lautenkompositionen, die seine musikalische Vielseitigkeit und sein Genie belegen. Seine motettenartig gestalteten Fantasien, einige davon über chromatische Themen, stellen einen absoluten Gipfel des Lauten- repertoires dar. Die meisten seiner Solowerke sind jedoch Tanzsätze, wie sie am Hofe üblich waren – zahlreiche Pavanen, Almains und Galiarden, meist in der 3-teiligen Form mit jeweiliger Variation, wie sie als sogenannte „Estampie“ damals in ganz Europa verbreitet war.

 

  BAROCK

  Die Hochblüte der Barockgitarrre

Nach der enormen Blüte von Laute und Vihuela bis zu Beginn des 17. Jahrhunderts verloren beide Instrumente mit Beginn der neuen Ästhetikvorübergehend an Bedeutung. Vor allem als Soloinstrument für die Darstellung von kunstvoll kontrapunktischen und reich ornamentierten Sätzen gewannen zunehmend Tasteninstrumente wie Spinett, das Virginal (in England) und später das Cembalo an Terrain. Als Begleitinstrument für den immer wichtiger werdenden monodischen Stil (Monteverdis „seconda prattica“), also continuobegleitete Melodie waren weiterhin Lauteninstrumente im Einsatz. In Italien und Frankreich waren vor allem Chitarrone und Theorbe (großmensurierte, einzelsaitig bespannte Basslauten mit zusätzlichen Bordunsaiten) als Continuoinstrumente zunehmend verbreitet.
Gleichzeitig erlebte ein anderes Zupfinstrument in Spanien, Italien und später in Frankreich eine einzigartige Hochblüte: die Barockgitarre. Schon im 16. Jahrhundert hatten in Spanien und Frankreich 4-chörige Vihuelavariationen existiert, welche man üblicherweise als „guitarra“ ezeichnete. Diese frühe, kleine Gitarre galt als Volks- und Begleitinstrument von weniger hohem Wert als die Vihuela, auch wenn Komponisten wie Mudarra, Fuenllana und Le Roy Werke für das vierchörige Instrument schufen. Mudarra empfahl auch bereits die beiden Saiten des 4. Chores im Abstand einer Oktave einzustimmen, um das Klangspektrum der Gitarre zu bereichern. Genau 50 Jahre später, im Jahre 1596 erschien Joan Carlos Amats Beschreibung der „Spanischen Gitarre mit fünf Chören“, von denen nun die 4. und 5. Saite im Oktavenabstand oder gar beide hoch gestimmt werden sollten. Damit war nun erstmals jene Gitarre definiert, die bis ins 18. Jahrhundert hinein in Spanien, Italien und Frankreich seit verbreitet war und die uns von zahlreichen Bildern und Zeichnungen Antoine Watteaus vertraut ist: die Barockgitarre.
Gaspar Sanz
(1640 - 1710), Francisco Guerau (Spanien), Ludovico Roncalli, Francesco Corbetta, Henry Grenerin (Paris, um 1680) und schließlich Robert de Visée  schrieben neben vielen anderen Komponisten Suiten und Einzelsätze, die nach wie vor als Tabulaturen – italienische und französische – gedruckt werden
Verfeinert waren diese Tabulaturen durch Akkordsymole, die in regelrechten Grifftabellen erklärt waren (Alfabettos) sowie zahlreiche Verzierungszeichen.
Paradoxerweise ist die Musik dieser Epoche auf der modernen Gitarre nur schwer zu reproduzieren. Die Ursachen hier für liegen in der zuvor erläuterten Stimmung der beiden „Basssaiten“, die für einen ganz speziellen Linienverlauf auf der Barockgitarre verantwortlich war, wie er in der Gitarrenstimmung nahezu unmöglich ist.
In Deutschland entwickelten die Lautenisten und Instrumentenbauer ausgehend von früheren Renaissancelauten ein größeres Instrument in einer modifizierten, neuen Stimmung mit bis zu 8 zusätzlichen Bordunsaiten: die Barocklaute in d-Moll-Stimmung (von oben nach unten: f’ –d’ –a – f – d – A, zuzüglich der genannten Bordunsaiten, je nach Tonart diatonisch abwärts). Für dieses schwierig zu beherrschende Instrument schrieb Johann Sebastian Bach
mehrere Suiten und Einzelsätze, von denen 4 Suiten und das Triptychon Prelude, Fugue & Allegro nachweislich überliefert sind, teils als Autographe des Thomaskantors, teils als Intavolierunen aus den Händen zeitgenössischer Lautenisten. Ganz selbstverständlich waren bereits zu jener Zeit die Transkriptionen von Instrumentalwerken für ein anders Instrument unter Berücksichtigung spezifischer Klangmöglichkeiten des ursprünglichen wie des neuen Instruments. Bach selbst transkribierte eigene Werke und die seiner Zeitgenossen, um die Musik den jeweils verfügbaren Besetzungen anzupassen. Dieser Tradition entsprechend transkribieren bis heute Gitarristen ganze Violin-, Cello- und Cembalowerke von Bach. Die Sarabande aus der ersten Partita (Suite) für Violine solo, komponiert in Köthen um das Jahr 1720 herum, war einer der ersten Sätze, die von Gitarrensolisten wie Miguel Llobet, Augustin Barrios oder Andres Segovia häufig gespielt wurden. 
Sylvius Leopold Weiss
galt als einer der letzten großen Lautenmeister überhaupt. Nur ein Jahr jünger als Bach, hatte er in zahlreichen deutschen Städten gewirkt und war offensichtlich mit ach persönlich zusammengetroffen. Dennoch ist seine Musik eine deutlich andere als die bis ins Detail stets von Kontrapunkt, Form und inneren Proportionen und Stuktur her ausgereiften Werke des Leipziger Kantors. Weiss galt als einzigartiger Meister der freie Fantasie, der Improvisation. Der Tombeau für den 1721 verstorbenen Lautenisten Johann Anton Logy belegt sein großes Ausdrucksvermögen in zahlreichen Affekten: Dissonanzen voller Leid, Seufzermotive, demutsreiche Orgelpunkte, klagend fallende Chromatik (Lamento) und gegen Ende die Geste der Hoffnung, eine steigende Chromatik, die das Aufsteigen der Seele des Verstorbenen in den Himmel symbolisiert (Himmelsleiter).  

KLASSIK

Schon gegen Ende der Barockzeit favorisierten zunehmend Komponisten den aus Italien stammenden melodiebetonten Stil der Monodie. Im Kontrast zum streng kontrapunktischen polyphonen Satz mit möglichst vielen, gleichberechtigten Stimmen stand von nun an eine Hauptstimme, die Melodie eindeutig im Mittelpunkt. Ihre Entwicklung und Modulation in benachbarte Tonarten bestimmten die Form: Vier-, acht- und sechzehntaktige Perioden wurden zu festen Formeln. Alle weiteren Elemente dienten der harmonischen Stütze und Untermalung der Begleitung. Der Themendualismus der klassischen Sonate oder Sinfonie (Sonatenhauptsatzform) wurde als ideale Ausdrucksform entwickelt und die dreisätzige Sonate in der Tempoabfolge schnell – langsam – schnell verdrängt die barocke Suite auf lange Zeit. Parallel zu diesem gravierendem Richtungswechsel in Stil, Form und musikalischer Gestaltung wurden auch neue Instrumente geschaffen und alte den Erfordernissen und dem Zeitgeschmack entsprechend weiterentwickelt. Für die Gitarre vollzog sich diese Stufe der Anpassung und Weiterentwicklung leider mit etwa 30-jähriger Verzögerung.
Mit Ernst Gottlieb Baron
(gest. 1760) und Adam Falckenhagen (gest. 1761) waren die „letzten Lautenspieler“ gestorben und mit ihnen eine ganze Generation von Meistern eines nun ausgedienten Instruments.
Stattdessen gelangte im Jahre 1788 mit Herzogin Anna Amalia
die erste Gitarre von Italien nach Weimar. Dort fertigte der Geigenbauer Jakob August Otto zahlreiche Kopien dieses noch fünfsaitigen Instruments an, später jedoch auch die nun in Mode kommenden sechssaitigen Gitarren. 1792 hatte der aus Neapel stammende Federico Moretti in Madrid die erste wichtige Schule für die sechssaitige Gitarre veröffentlicht; das Instrument hatte damit nun endlich die bis heute übliche Stimmung und mit der Beschränkung auf Einzelsaiten waren die Ausdrucksmöglichkeiten im Sinne der klassischen Ästhetik geschaffen, wenn auch mit großer Verspätung.
Der bedeutendste Gitarrist, Komponist und Pädagoge des frühen 19. Jahrhunderts war der Katalane Ferdinand Sor
(geb. 1778 in Barcelona). Er wurde im berühmten Kloster von Monserrat ausgebildet. Mit 19 schrieb er seine erste Oper, ging 1813 nach Paris, zwei Jahre später nach London, wo viele seiner berühmtesten Gitarrewerke entstanden. 1823 folgten Konzertreisen nach Moskau, Berlin, Leipzig, Warschau und St. Petersburg. 1826 kehrte er zurück nach Paris, wo er bis zu seinem Tode 1839 lebte.
Neben Paris wurde Wien immer mehr zu einem Zentrum für Gitarrenmusik jener Zeit. Franz Schubert
besaß und spielte eine Gitarre von Johann Georg Stauffer, doch leider existiert nur ein Werk Schuberts mit Gitarrenbegleitung. Der große Gitarrenvirtuose Wiens war jedoch der Italiener Mauro Giuliani, dessen brillantes Spiel vermutlich annähernd große Verblüffung erzielt haben muss, wie einige Jahre später das diabolische Geigenspiel seines Landsmannes Niccolo Paganini. Giuliani wurde 1781 in Bisceglie bei Bari im Süden Italiens geboren. Kaum 25 Jahre alt, ließ er sich als Cellist und Gitarrist in Wien nieder. In Folge diverser materieller und privater Probleme verließ er 1819 Wien. Giuliani starb am 8. Mai 1829 in Neapel.
Matteo Carcassi stammte aus Florenz, lebte jedoch seit 1820 als Gitarrist, Lehrer und Komponist in Paris. Dort begegnete er in den folgenden Jahren seinen Kollegen Ferdinando Carulli und Dionisio Aguado, mit dem Ferdinando Sor mehrere Konzerte als Gitarrenduo gab.